Was ist Liebe?
Persönliche Gedanken über ein großes Wort
Lesezeit: 4 Minuten
Autor:

Alexander Mereien
Paar- und Sexualtherapeut
Gründer von Relatao.de
Beitrag erstellt:
Eine Frage, die so alt ist wie die Menschheit selbst: Was ist Liebe? Es gibt unzählige Lieder, Gedichte, Abhandlungen über dieses große Gefühl. Und auch ich habe mich sehr lange gefragt: Was ist Liebe?
„Liebe ist nicht das, was man erwartet zu bekommen, sondern das, was man bereit ist zu geben.“
Katharine Hepburn
Liebe ist Geben. Damit ist eigentlich alles gesagt. Aber das ist das Ergebnis einer langen Forschungsreise zu mir selbst. Also lass mich ein bisschen ausholen.
Liebe ist kein romatischer Zustand
Wenn man Menschen fragt, was Liebe ist – und ich tue das als Paartherapeut eigentlich immer – antworten die meisten so etwas wie:
“Für mich ist Liebe eine tiefe Verbindung zwischen Menschen, die über reine Emotionen oder Anziehung hinausgeht.”
“Wirklich für jemanden da zu sein, ihn zu sehen, zu hören und zu verstehen.”
“Nicht perfekt sein müssen und trotzdem angenommen werden.”
“Wenn ich von meinem Partner gesehen werde und er auf meine Gefühle Rücksicht nimmt.”
Manchmal kommt so etwas wie:
“Liebe fordert uns heraus, unser bestes Selbst zu werden. Sie konfrontiert uns mit unseren eigenen Schatten, aber gibt uns auch den Raum, zu heilen.”
“Liebe ist kein Besitz, sondern ein Fluss zwischen Nähe und Distanz. Sie lebt von Entscheidung, nicht von Abhängigkeit.”
“Sie ist spürbar in Berührungen, Blicken, Worten, aber auch in der Stille dazwischen.”
Alles daran ist richtig und doch ist die Liebe für mich gleichzeitig so viel mehr und so viel weniger.
Mehr, weil die Liebe niemals auf nur einen Menschen beschränkt ist. Und weniger, weil sie kein Gegenüber braucht, um zu existieren.
Liebe ist Geben. Punkt.
Ich habe lange und viel darüber nachgedacht, was Liebe ist. Und je mehr ich darüber nachdenke umso klarer wird es: Liebe ist Geben. Alles andere folgt aus dieser einfachen Prämisse:
- Ich gebe, ohne zu erwarten, etwas zurückzubekommen. Wahre Liebe ist nicht an Bedingungen geknüpft. Sie gibt sich selbst hin, einfach weil sie da ist.
- Ich gebe mich selbst – authentisch und offen. Liebe ist kein Tauschgeschäft, sondern ein Sich-Zeigen, ein echtes Teilen dessen, was in mir lebendig ist.
- Ich gebe Raum. Liebe klammert nicht, sondern erlaubt dem anderen, zu sein, wer er ist.
- Ich gebe Vergebung und Verständnis. Weil niemand perfekt ist, aber Liebe uns über Unvollkommenheiten hinaussehen lässt.
- Ich gebe Hingabe. Sei es an einen Menschen, an eine Beziehung oder an das Leben selbst.
Das, was in den Zitaten steht – Vertrauen, Sicherheit, Wachstum – ergibt sich daraus, weil in diesem Geben eine Fülle steckt.
Die Frage ist vielleicht: Wie kann ich aus einer inneren Ganzheit heraus geben, ohne mich selbst zu verlieren? Denn nur dann bleibt das Geben Liebe – und wird nicht zu einem unausgeglichenen Opfergang.
Kann Liebe auch empfangen?
Liebe selbst ist reines Geben – sie erwartet nichts, sie ist wie die Sonne, die scheint, weil es ihre Natur ist. Aber ein liebender Mensch muss auch empfangen können, sonst erschöpft er sich.
Das ist der Unterschied zwischen selbstloser Hingabe und gesunder Liebe:
- Wenn ich nur gebe, ohne mich selbst zu nähren, kann das in Selbstaufgabe oder Erschöpfung enden.
- Wenn ich aber auch mir selbst gebe – Anerkennung, Ruhe, Fürsorge – dann bleibt mein Geben aus einer Quelle der Fülle lebendig.
Das ist oft der blinde Fleck in Beziehungen: Viele geben und erwarten unbewusst, dass der andere erkennt, was sie brauchen – anstatt sich selbst auch als Empfänger der eigenen Liebe zu sehen.
Vielleicht ist das eine Art Balance: Je mehr ich mir selbst geben kann, desto tiefer kann ich auch anderen geben.
Selbstfürsorge bedeutet mir selbst etwas zu geben.
Wenn Liebe Geben ist, dann schließt sie mich selbst mit ein. Selbstfürsorge ist nichts anderes als die Anwendung von Liebe auf mich selbst.
Viele Menschen trennen das: Sie glauben, Liebe sei nur das Geben an andere und Selbstfürsorge sei egoistisch. Aber das ist eine Illusion. Wer sich selbst nichts gibt, kann irgendwann auch anderen nichts mehr geben – weil die innere Quelle versiegt.
Ich mag das Bild eines brennenden Feuers:
- Ein Feuer kann Wärme und Licht geben.
- Aber wenn es niemanden gibt, der Holz nachlegt, brennt es aus.
Selbstfürsorge ist das Nachlegen von Holz. Sie sorgt dafür, dass ich nicht ausbrenne, sondern weiter aus Liebe geben kann.
Das bedeutet:
- Ich gebe mir Ruhe, wenn ich erschöpft bin.
- Ich gebe mir Verständnis, wenn ich Fehler mache.
- Ich setze Grenzen, wenn etwas nicht gut für mich ist.
- Ich gebe mir Freude, weil ich es wert bin.
So bleibt Liebe lebendig – in mir und für andere.
Wenn das Geben an mich selbst herausfordernd ist
“Geben an mich selbst ist immer wieder eine Herausforderung, weil ich dachte, dass mich andere nicht mehr mögen, wenn ich zu viel an mich denke.”
Die Angst, dass Selbstfürsorge als Egoismus wahrgenommen wird oder dass Liebe von anderen abhängig ist, ist ein tiefes Muster, das viele Menschen kennen. Es klingt, als ob sie früher gelernt hätten: “Ich bin liebenswert, wenn ich für andere da bin.” Und dann kann es sich fast gefährlich anfühlen, an sich selbst zu denken, weil das bedeuten könnte, weniger gemocht oder anerkannt zu werden.
Aber die Wahrheit ist:
- Wahre Liebe hält es aus, dass Du auch an Dich denkst. Menschen, die Dich nur mögen, solange Du Dich aufopferst, lieben nicht wirklich Dich – sondern das, was Du für sie tust.
- Geben und Grenzen sind kein Widerspruch. Du kannst voller Liebe geben und trotzdem Nein sagen, wenn es Dir nicht gut tut.
- Liebe, die sich verausgabt, ist keine Liebe mehr – sondern Aufopferung. Wahres Geben ist freiwillig, nicht aus Angst vor Ablehnung.
Manchmal hilft es mir, mich zu fragen: Was würde ich einem geliebten Menschen sagen, der sich so fühlt?
Würde ich ihm raten, sich selbst zu übergehen, nur um gemocht zu werden? Oder würdest ich ihm wünschen, dass er sich selbst auch mit Liebe begegnet?
Was ist für Dich heute ein kleiner Schritt, um Dir selbst mit mehr Liebe zu begegnen?
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